Die Beisetzung by Christensen Lars Saabye

Autor:Christensen, Lars Saabye [Christensen, Lars Saabye]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: btb
veröffentlicht: 2015-08-30T16:00:00+00:00

BLUE JAY WAY

I

Ich bin es nicht, der dies erzählt.

Das ist der andere.

Ein einziges Mal ist die Welt groß genug. Man weiß es nicht besser. Man kennt keine Grenzen. Die Welt ist grenzenlos. Die Welt ist genau richtig. Man hat seinen Platz in ihr. Dann fängt man an zu träumen. Damit ist man bereits verraten und verkauft. Damit wird die Welt immer kleiner. Denn Träume sind größer als die Welt und stellen sie in den Schatten, nicht ins Licht.

Jonar Abelsen ist auf dem Weg zum Sortland Hotel. Er kommt von der Rådhustaverna, die über dem Sortland Kino liegt, wo sein Frühstück – ein Sandwich Spezial, Kaffee und Leichtbier – von einem aufgeregten Wachtmeister gestört wurde, der eine erschütternde, ja, eine erschütternde Neuigkeit erzählt hatte: Im Foyer des Kinos war ein Verbrechen begangen worden. Deshalb ist Jonar Abelsen jetzt auf dem Weg zum Sortland Hotel, das nicht weiter als einen Steinwurf von der Rådhustaverna entfernt liegt. Nichts liegt dort mehr als einen Steinwurf entfernt. Und Jonar Abelsen tut etwas, was für ihn nicht üblich ist. Er beeilt sich. Das geht langsam. Trotzdem beeilt er sich. Der Wind weht aus allen Richtungen und lässt die Schneewehen entlang der Fernstraße erzittern. Die blaue Stadt versinkt in der Dunkelheit. Es ist der 4. Januar 2001 und noch nicht einmal zwölf Uhr. Und zwölf Uhr, das ist der Zeitpunkt, an dem die Gäste auschecken müssen.

Wie viele Träume hat beispielsweise Jonar Abelsen gehabt? Drei. Er hatte drei Träume, und den dritten hat er immer noch. Das ist mehr als genug. Der erste Traum handelte hiervon: Er wollte seinerzeit als fester Innenverteidiger bei Morild spielen und in die norwegische Nationalmannschaft kommen. Eigentlich besteht dieser Traum sogar aus zwei Träumen, aber sie sind so eng miteinander verknüpft, dass sie zum Schluss zu einem wurden. Es war ein Traum, in dem der eine den anderen mit sich führte. Wurde Jonar Abelsen fester Innenverteidiger bei Morild? Ganz und gar nicht. Kam er in die norwegische Nationalmannschaft? Diese Frage ist mehr als überflüssig. Da der eine Traum nicht in Erfüllung ging, führte er auch nicht zum anderen. Jonar Abelsens Karriere bei Morild fand ein jähes Ende. Er brach sich bei einem stürmischen Trainingskampf gegen die Jugendmannschaft von Lødingen den rechten Arm, auf dem Gelände hinter der Kirche, einem Platz, der im Volksmund nur der Friedhof genannt wurde, was er heute tatsächlich auch ist. Das war im Herbst 1966, im selben Jahr, in dem Morild nach vehementem Einsatz vonseiten ehrenamtlicher und nachbarschaftlicher Helfer vier neue Fußballer einkaufen konnte, die sowohl nationalen als auch internationalen Ansprüchen Genüge taten, und zwar dank dem bekannten Sportgeschäft Crescent in Oslo, eine Begebenheit, die die kurze Glanzzeit von Morild einläutete, die ihren historischen Höhepunkt 1972 erreichte, als die Mannschaft in die dritte Liga aufstieg. Mit anderen Worten: Jonar Abelsen fiel, und Morild erhob sich von dem Platz hinter der Kirche. Die Wahrheit ist natürlich, dass Jonar Abelsen ein elender Fußballspieler und ein noch schlechterer Innenverteidiger war, langsam, kurzsichtig und ängstlich. Und nicht nur das – er war auch

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